Zwischen Altar und Parteibuch: Politische Orientierungen und Kirchenmitgliedschaft
Hat die Kirchenmitgliedschaft Einfluss auf die politische Grundhaltung ihrer Mitglieder? Gibt es Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Gemeindemitgliedern? Welchen Beitrag kann die Kirche leisten, um die Demokratie zu stärken?
Die 6. KMU geht über die Untersuchung von Motiven zur Kirchenbindung und -austritt hinaus und erfasst auch die politischen Grundorientierungen der Befragten. Die gewonnenen Daten bieten eine solide Grundlage für eine empirische Untersuchung solcher Fragen.
Auf einen Blick
Die spannendsten Ergebnisse
Weder die Kirchlichkeit der Befragten noch die Häufigkeit ihres Kirchgangs steht in Zusammenhang mit ihrer politischen Grundhaltung.
Kirchlich Engagierte und in soziale Kontaktfelder der evangelischen Kirche eingebundene Personen neigen verstärkt zu liberal-weltoffenen Einstellungen.
Innerhalb der evangelischen Kirche besteht keine eindeutige Verbindung zwischen politischer Ausrichtung der Mitglieder und ihrem Vertrauen in ihre Kirche.
Die Reformerwartungen der Mitglieder beider Kirchen stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit ihrer politischen Grundorientierung.
Die politische Einstellung hat bei Evangelischen kaum Einfluss auf den Kirchenaustritt, während liberal-weltoffene Katholische tendenziell eher austreten.
Unter den religiös-säkularen Orientierungstypen gibt es nur in der Gruppe der Alternativen einen deutlich erhöhten Anteil an Rechtsautoritären im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt.
Kirchennahe Formen der Religiosität haben einen positiven Effekt auf die Demokratiezufriedenheit.
Politische Einstellungen der Bevölkerung in Deutschland
Zwischen Schwarz-Weiß und Graustufen: Eine Skala der Einordnung
Das Wichtigste
Die 6. KMU enthält viele Aussagen, aus denen politische Grundorientierungen der Befragten abgelesen werden können.
Um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, wurden die Befragten anhand ihres Antwortverhaltens dabei entlang eines Kontinuums eingeordnet. Aussagekräftig ist der Vergleich von zwei Gruppen: dem Viertel (25 Prozent) der Befragten, das am stärksten zum liberal-weltoffenen Pol tendiert, und auf der anderen Seite jenem Viertel, das am stärksten zum rechtsautoritären Pol tendiert.
Des Weiteren gibt es die Gruppe derjenigen, die sich wenig profiliert verstehen: Hier finden sich die übrigen 50 Prozent der Befragten.
Häufigkeitsverteilung der Befragten auf der Skala politischer Orientierungen*
Die 50 Prozent zwischen den beiden Polen werden als die Unprofilierten betitelt, womit verdeutlicht werden soll, dass es sich hier nicht um eine Skala von Extremen handelt. An den beiden Polen befinden sich also nicht Extreme und dazwischen eine neutrale Mitte. Die Unprofilierten sind schlicht weniger festgelegt oder wollen nach Abwägung eine vermittelnde Position einnehmen.
*vgl. Wunder, Edgar: Kirchenaustritte als Protest gegen eine Politisierung der Kirchen? in: ZRW 87/3, 2024, S.182-192.
Merkmale der politischen Grundhaltungen
Unterschiedliche Weltanschauungen: Einblick in die Merkmale von Liberal-Weltoffenen und Rechtsautoritären
Das Wichtigste
Liberal-Weltoffene sind liberal und autoritätskritisch, weltoffen und ökologisch ausgerichtet. Sie orientieren sich an gleichberechtigten, modernen Geschlechterrollenbildern.
Die Gruppe der Rechtsautoritären ist hingegen durch Personen charakterisiert, die zum Autoritarismus neigen, kulturell Fremdem mit einer abwehrenden Haltung begegnen, die Klimakrise nicht sonderlich ernst nehmen und traditionelle Geschlechterrollenbilder vertreten. Ihre Rechtfertigung sozialer Ungleichheit weist extrem rechte Züge auf.
Rechtsautoritäre haben nur sehr geringe Werte beim Vertrauen in Mitmenschen und engagieren sich deutlich seltener ehrenamtlich als andere.
Während Frauen eher zur Gruppe der Liberal-Weltoffenen oder Unprofilierten tendieren, finden sich unter den Rechtsautoritären mehr Männer als Frauen.
In Ostdeutschland ist der Bevölkerungsanteil der Rechtsautoritären nach den KMU-Daten signifikant höher als in Westdeutschland.
Gleichzeitig ist in der jüngsten Generation (14- bis 29-Jährige) der Anteil der Rechtsautoritären mit nur 14 Prozent deutlich geringer als bei Älteren.
Anteil der Rechtsautoritären in Teilgruppen
Bedenkt man die einschlägig bekannten Positionen politischer Parteien innerhalb dieses Meinungsspektrums, könnten hier zum Beispiel die Grünen als liberal-weltoffen und die AfD als rechtsautoritär eingeordnet werden.
Die Demokratie lebt von unserer Versöhnungsarbeit, von der Dialogstärke, vom Hoffnungsmut. Nur gemeinsam lässt sich die Demokratie verwirklichen: Niemand ist unbedeutend. Und niemand ist nicht verantwortlich. Gemeinsam muten wir einander zu und halten einander aus. Und gemeinsam schauen wir auf das, was uns verbindet - mutig auf dem Weg in einen lebendigen Demokratiesommer 2024!
Bischöfin Kirsten Fehrs, amtierende Ratsvorsitzende der EKD
Politische Grundhaltung und "Populismus"
"Populismus": Liberal-Weltoffene sind weitestgehend immun
Das Wichtigste
Die Achse der politischen Grundhaltung von liberal-weltoffen bis rechtsautoritär hängt stark mit „populistischen“ Orientierungen zusammen, die in der KMU 6 gesondert erhoben wurden.
Zwischen der politischen Grundhaltung und der Neigung zum "Populismus" ist ein Zusammenhang feststellbar: Von den „populistischen“ Befragten gehören 52 Prozent der Gruppe der Rechtsautoritären an, 43 Prozent den Unprofilierten und nur 5 Prozent den Liberal-Weltoffenen.
Populistische Neigungen sind unter den Rechtsautoritären stark verbreitet und strahlen offensichtlich auch stark in die Gruppe der Unprofilierten hinein. Dahingegen scheinen Liberal-Weltoffene gegenüber dem "Populismus" weitestgehend immun zu sein.
Zusammensetzung der Befragten mit populistischen Orientierungen
Die Auswertung der KMU-Ergebnisse orientiert sich an folgender, wissenschaftlich gängigen Definition des Begriffs "Populismus": Es handelt sich dabei um eine Kombination aus drei gemeinsam auftretenden Merkmalen: Antipluralismus, Elitenkritik und die Forderung nach Volkssouveränität. Die Betonung, die Macht über bestimmte Entscheidungen sollte grundsätzlich beim Volk anstatt bei Eliten liegen, sowie eine Kritik an den Eliten können einzeln betrachtet grundsätzlich demokratiestärkende Elemente sein. Die Existenz dieser beiden Merkmale in Kombination mit der Überzeugung, es herrsche nur eine einzige Meinung im Volk vor, welche wiederum von den Eliten ignoriert würde, führt jedoch oft zu autoritären Regimen und letztlich einer gefährlichen Schwächung der Demokratie.
Politische Einstellung und Kirchlichkeit
Glauben, Wählen, Handeln: Welchen Einfluss hat die politische Einstellung auf die Kirchlichkeit?
Das Wichtigste
Im Hinblick auf ihre Kirchlichkeit weicht weder unter katholischen noch unter evangelischen Kirchenmitgliedern der Anteil der Liberal-Weltoffenen, Rechtsautoritären oder Unprofilierten vom Bevölkerungsdurchschnitt ab.
Die Häufigkeit des Kirchgangs steht in keinem Zusammenhang mit der politischen Grundhaltung.
Bezogen auf die religiös-säkularen Orientierungstypen ergibt sich, dass der Anteil der Rechtsautoritären weder bei den Kirchlich-Religiösen noch bei den Religiös-Distanzierten oder bei den Säkularen wesentlich vom Bevölkerungsdurchschnitt abweicht.
Im Gegensatz dazu zeigen sich beträchtliche Unterschiede bei den Alternativen, also den Esoterischen und Hedonistisch-Heterodoxen: Hier ist der Anteil der Rechtsautoritären mit 45 Prozent signifikant erhöht.
Anteil der Rechtsautoritären nach religiös-säkularen Orientierungstypen
Bei den Freikirchen und anderen kleineren christlichen Gemeinschaften ohne Migrationshintergrund ist der Anteil der Rechtsautoritären deutlich erhöht und der Anteil der Liberal-Weltoffenen signifikant unterdurchschnittlich.
Auch für religiöse Intoleranz oder ein Gottesbild, das sich Gott als „Richter“ vorstellt, ist ein statistischer Zusammenhang mit rechtsautoritären politischen Einstellungen belegbar.
Engagement und politische Orientierung
Ehrenamt: Evangelische Engagierte sind weltoffener
Das Wichtigste
Rechtsautoritäre engagieren sich deutlich seltener ehrenamtlich als andere. Das gilt nicht nur für tatsächliches ehrenamtliches Engagement, sondern bereits für die dahinterstehende Grundhaltung: Wer der Aussage „Sich für die Gesellschaft zu engagieren bringt nichts, man bewirkt nicht viel“ zustimmt, ist zu 58 Prozent rechtsautoritär, zu 7 Prozent liberal-weltoffen.
Bezogen auf ein über die Gottesdienstteilnahme hinausgehendes kirchliches Engagement sind unter den Evangelischen die Liberal-Weltoffenen deutlich überrepräsentiert (39 Prozent) und die Rechtsautoritären deutlich unterrepräsentiert (16 Prozent).
Bei den in der katholischen Kirche Engagierten sind die Zahlen ausgeglichener: Hier entsprechen die Liberal-Weltoffenen (24 Prozent) und die Rechtsautoritären (21 Prozent) fast den Durchschnittswerten in der Gesamtbevölkerung.
Anteil Rechtsautoritärer im Bereich "Gesellschaftliches Engagement"
Ein ähnlicher Befund ist bei den Kontakthäufigkeiten der Gesamtbevölkerung zu kirchlichen Einrichtungen feststellbar: Wer in den letzten 12 Monaten Kontakt zu einer evangelischen kirchlichen Einrichtung hatte, war zu 29 Prozent liberal-weltoffen bzw. zu 17 Prozent rechtsautoritär. Bei den Kontakten zu katholischen kirchlichen Einrichtungen sind die Zahlen wiederum fast ausgeglichen: 21 Prozent sind liberal-weltoffen, 24 Prozent rechtsautoritär.
Vertrauen in die Kirchen
Politische Orientierung und Kirchenbindung: Das Vertrauensgefälle im Blick
Das Wichtigste
Bei der subjektiven Kirchenverbundenheit sind unter den stark kirchenverbundenen Evangelischen die Liberal-Weltoffenen überrepräsentiert (26 Prozent) und die Rechtsautoritären unterrepräsentiert (19 Prozent). Bei den hochverbundenen Katholischen ist es umgekehrt: Hier sind die Liberal-Weltoffenen unterrepräsentiert (15 Prozent), die Rechtsautoritären überrepräsentiert (32 Prozent).
Die beiden bedeutsamsten Faktoren für einen Vertrauensverlust in die jeweils eigene Kirche sind bei beiden Kirchen eine schwindende Religiosität und ein allgemeiner Vertrauensverlust gegenüber gesellschaftlichen Institutionen.
Ausmaß und Inhalt der Reformerwartungen an die Kirchen bestehen bei Evangelischen wie Katholischen unabhängig von ihrer politischen Grundhaltung.
Bei den Evangelischen beeinflusst die politische Grundhaltung der befragten Kirchenmitglieder ihr Vertrauen in die eigene Kirche kaum, während die katholische Kirche mit einem deutlich stärkeren Vertrauensverlust bei liberal-weltoffenen Katholischen im Vergleich zu rechtsautoritären konfrontiert ist.
Bei den evangelischen Kirchenmitgliedern ist das Vertrauen in die Kirche nicht vom Alter abhängig. Bei den katholischen Kirchenmitgliedern ist der Vertrauensverlust umso größer, je jünger die Befragten sind.
Vertrauen in die eigene Kirche in Abhängigkeit von der politischen Orientierung
Die evangelische Kirche als soziale Gemeinschaft von aktiv mitwirkenden und institutionell verbundenen Menschen hat ein stärker liberal-weltoffenes Profil im Vergleich zur Gesamtgesellschaft, ohne dass dies zu einer signifikant erhöhten Distanzierung der rechtsautoritären Kirchenmitglieder führt. Insofern bleibt bei der evangelischen Kirche eine Polarisierung entlang politischer Grundorientierungen aus.
Das Profil der sozialen Gemeinschaft von in der katholischen Kirche Mitwirkenden weicht im Durchschnitt nicht von dem Profil politischer Grundorientierungen der Gesamtgesellschaft ab. Unter den besonders Kirchenverbundenen gibt es allerdings einen erhöhten Anteil Rechtsautoritärer. Gleichzeitig lässt sich eine stärkere Distanzierung bei den liberal-weltoffenen katholischen Kirchenmitgliedern beobachten. Insofern lässt sich sagen, dass innerhalb der katholischen Kirche eine wachsende Spaltung entlang politischer Ansichten zu beobachten ist. Diese Spaltung verstärkt den bereits vorhandenen Trend eines Rückgangs der Bindung an die Kirche.
Kirchenzugehörigkeit
Politische Motive für Engagement und Austritt: „Weil sich das so gehört“?
Das Wichtigste
Bei den Motiven für die Kirchenmitgliedschaft bzw. für einen erwogenen oder auch schon vollzogenen Kirchenaustritt zeigen die KMU-Daten interessante Abhängigkeiten von der politischen Grundhaltung.
Unter Rechtsautoritären werden die Mitgliedschaftsmotive „Weil sich das so gehört“ und „Kontakt mit dem Heiligen haben“ überdurchschnittlich häufig genannt. Beides sind Mitgliedschaftsmotive, die in der restlichen Bevölkerung stark zurückgegangen und fast schon unwesentlich sind.
Für Liberal-Weltoffene ist der Einsatz der Kirchen für Hilfsbedürftige, Solidarität und Gerechtigkeit das entscheidende Argument für eine Kirchenmitgliedschaft. Das ist sowohl bei katholischen wie evangelischen Kirchenmitgliedern so.
Die politische Grundhaltung von evangelischen Kirchenmitgliedern steht in keinem wesentlichen Zusammenhang mit der Häufigkeit und den Motiven ihrer Kirchenaustritte. Anders bei der katholischen Kirche: Liberal-weltoffene Katholische neigen deutlich stärker zum Austritt als rechtsautoritäre, und ihre Haltung zur katholischen Kirche ist wesentlich kritischer als die der Rechtsautoritären.
Die liberal-weltoffenen Kirchenmitglieder geben an, eher auf einen Austritt zu verzichten, wenn „sich die Kirche gesellschaftlich-politisch stärker engagieren würde“, die Rechtsautoritären, wenn „sich die Kirche stärker auf religiöse Fragen konzentrieren würde“.
Weil es unter den Kirchenmitgliedern mehr Liberal-Weltoffene als Rechtsautoritäre gibt, befürwortet die Mehrheit ein stärkeres gesellschaftlich-politisches Engagement der Kirchen.
Bei den liberal-weltoffenen Evangelischen schließen 33 Prozent einen Austritt kategorisch aus, bei den rechtsautoritären Evangelischen sind es ebenfalls 33 Prozent.
Bei der katholischen Kirche haben liberal-weltoffene Kirchenmitglieder eine deutlich erhöhte Austrittswahrscheinlichkeit im Vergleich zu rechtsautoritären: Nur 14 Prozent der liberal-weltoffenen Katholischen schließen einen Austritt kategorisch aus, bei den rechtsautoritären Katholischen sind es 32 Prozent.
Liberal-weltoffene katholische Austrittsbereite zeigen, im Vergleich zu rechtsautoriären, eine wesentlich höhere Zustimmung bei den Austrittsmotiven „Kirche ist unglaubwürdig“, „Ärger über kirchliche Stellungnahmen“, „Kann mit dem Glauben nichts mehr anfangen“, „Aufbau der Kirche ist undemokratisch“ und „Kirchliche Skandale“. Die rechtsautoritären katholischen Austrittsbereiten stören sich hingegen signifikant häufiger an der Kirchensteuer als die Liberal-Weltoffenen.
Demokratiezufriedenheit
Demokratie in der Krise? Einblick in Einflussfaktoren und Zusammenhänge
Das Wichtigste
Die Umfragedaten der KMU 6 liefern nicht nur Erkenntnisse über binnenkirchliche Angelegenheiten, sondern auch interessante Einblicke in die allgemeine Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Demokratie.
Hauptsächlich sind es latent rechte Einstellungen, die die Demokratiezufriedenheit untergraben, indem sie kulturell Fremdes als bedrohlich empfinden und ausgrenzen wollen. Zusätzlich spielen die Wahrnehmung eines politisch verantworteten Mangels an gesellschaftlichem Zusammenhalt und die Bagatellisierung ökologischer Probleme eine wichtige Rolle bei der Einschränkung der Demokratiezufriedenheit.
Ein niedriger Bildungsstand hat einen geringfügigen, aber signifikanten negativen Einfluss auf die Demokratiezufriedenheit.
Ebenso wie eine geringe Schulbildung stehen auch kirchenferne Formen der Religiosität (z.B. Esoterik) in einem negativen Zusammenhang mit der Demokratiezufriedenheit.
Im Gegensatz dazu wirken sich kirchennahe Formen der Religiosität (etwa der Glaube an Gott, das Beten und der Kirchgang) positiv auf die Demokratiezufriedenheit aus. Obwohl der Effekt geringfügig ist, ist er sehr robust und wird kaum von anderen Faktoren beeinflusst.
Relevante Faktoren für geringe Demokratiezufriedenheit*
Perspektiven kirchlichen Handelns
In fünf Schritten zu einer gestärkten Demokratie
1.
Am Gemeinwesen orientieren
Die evangelische Kirche ist zunehmend nicht mehr "Volkskirche". Wichtig bleibt für sie das Prinzip der Gemeinwesenorientierung: Kirchliche Präsenz und kirchliches Handeln sollen dem Ganzen der Gesellschaft zugutekommen. Das bedeutet: Einerseits ist es erstrebenswert, dass die Bindung der Mitglieder nicht stark von ihren politischen Ansichten abhängt. Andererseits bleibt es wichtig, dass die Kirche in der Lage ist, sich klar auch zu politischen Entwicklungen zu positionieren, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterminieren. Vor allem rechtsautoritäre Einstellungen sind für die Stabilität der Demokratie gefährlich, weil sie mit erhöhter Anomie-Wahrnehmung, geringem zwischenmenschlichen Vertrauen, Populismus, wenig Sinn für gesellschaftliches Engagement und Solidarität sowie mit religiöser Intoleranz einhergehen. Deshalb sind die Kirchen aufgerufen, sich dazu zu verhalten. Die eindeutige Positionierung der evangelischen Kirche gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus weist in diese Richtung. Die Initiativen "Kirche gegen Rassismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus“ sowie "Demokratie und Kirche" sind nur zwei Beispiele hierfür.
2.
Solidarischen Zusammenhalt stärken
Ebenso wichtig ist der kirchliche Beitrag für einen solidarischen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wenn sich der Eindruck verbreitet, dass dieser Zusammenhalt schwindet, dann sind Institutionen besonders gefragt, die viele Menschen partizipativ in Strukturen einbinden, in denen ein solidarischer Zusammenhalt und Selbstwirksamkeit für die Gemeinschaft erlebt werden können. Die Kirchen als gesellschaftliche Akteure schaffen viele wertvolle solche Gelegenheitsstrukturen. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe sind ein Bestandteil der Kernbotschaft der evangelischen Kirche.
3.
Liberal-weltoffenes Profil pflegen
Der mitunter angenommene Zusammenhang, Menschen würden sich von der evangelischen Kirche abwenden, weil sie sich „linksgrün“ positioniere, ist nicht nachweisbar. Andernfalls müssten Rechtsautoritäre häufiger austreten oder zumindest aus anderen Gründen. Zwar hat die evangelische Kirche ein deutlich liberal-weltoffenes Profil, aber dies führt nicht in wesentlichem Ausmaß zur Abwendung politisch anders orientierter Menschen.
4.
Es Menschen leicht machen, sich mit einer liberal-offenen Haltung zu identifizieren
Bei der katholischen Kirche hingegen tritt ein solcher Effekt auf, jedoch mit einem anderen politischen Vorzeichen. In der katholischen Kirche ist eine Polarisierung entlang politischer Grundorientierungen zu beobachten, mit dem Effekt, dass es tendenziell die Liberal-Weltoffenen sind, die sich von ihr abwenden. Eine solche Entwicklung kann gefährlich sein, weil sie dazu neigt, selbstverstärkend zu sein. Deutliche Angebote der Identifikation, die den Zuspruch der tendenziell wegbrechenden Liberal-Weltoffenen finden, können dieser Entwicklung entgegenwirken. Die bei der Deutschen Bischofskonferenz am 19. Februar 2024 in Augsburg verabschiedete klare Distanzierung von der AfD kann so gelesen werden.
5.
Dialog fördern
Kirchliche Kommunikation gesellschaftspolitischer Themen tut in jedem Fall gut daran, eine dialogorientierte Perspektive einzunehmen. Dabei können „Triggerpunkte“ nicht immer vermieden werden. Es sollte aber möglichst barrierefrei argumentiert werden, was die Bandbreite politischer Grundeinstellungen oder der Bildungsvoraussetzungen betrifft.
Jetzt sind Sie gefragt!
Jetzt sind Sie gefragt! Inwiefern beeinflusst das, was Sie glauben, Ihre politischen Einstellungen? Zu welchen politischen Themen darf die Kirche Ihrer Meinung nach nicht schweigen? Teilen Sie uns Ihre Gedanken, Ideen und Impulse jetzt per E-Mail an info@ekd.de mit!